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Biografien

Verlorene Helden

Die Anfänge des Fußballs ohne deutsche Juden wäre nicht vorstellbar. In der Zusammenstelung von 11 FREUNDE sind über 100 Kurzbiografien von jüdischen Fußballspielern und Vereinsmitglieder zu finden.

11 Freunde

Verfolgt, vergessen – Deutsch-jüdische Fußballstars

Elf deutsch-jüdische Fußball-Pioniere als überlebensgroße Skulpturen, ausgestellt auf einem zentralen Platz in Tel Aviv: Hier wird die Geschichte von elf Persönlichkeiten erzählt, die den deutschen Fußball prägten, bis sie von Nationalsozialisten aus ihren Vereinen ausgeschlossen, verfolgt oder ermordet wurden.

Studio Tel Aviv

Ernst Willimowski -  ein Grenzgänger zwischen zwei Nationen

Ernst Willimowski

Das bewegte Leben eines Ausnahmefußballers und Sportgenies, das von seinen Zeitgenossen als Held gefeiert wurde –  sondern auch ein Grenzgänger zwischen zwei Nationen, dessen große Zeit als Sportler zu seinem Unglück in eine Epoche fiel, die von Gewalt und Krieg - und dadurch zwangsläufig durch nationale Ab- und Ausgrenzung bestimmt war.

www.willimowski.football

Alfred Ries – »Wer Versöhnung will, muss sie praktizieren«

Ernst WillimowskiAlfred Ries (1897 bis 1967) trat 1909 dem damaligen FV Werder Bremen bei, um dort Fußball zu spielen. Er hatte aber auch schon früh – 1913, als 16jähriger – erstmals eine Vereinsfunktion inne, er war Mitglied des Vorstandes als zweiter Schriftführer. Zehn Jahre später, also mit 26 Jahren, wurde er zum ersten Mal Vorsitzender des SV Werder. Dieselbe Funktion übte er noch in den Jahren 1926 und 1927, 1929 und 1930, 1947 bis 1951 und 1963 bis zu seinem Tode im Jahre 1967 aus.

Mit 27 Jahren war Alfred Ries Werbeleiter des Kaffee-HAG-Konzerns, und 1930 Direktor der Böttcherstraße. Gleichzeitig war Alfred Ries aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Bremen.

Er blieb bis wenige Wochen vor der „Machtergreifung“ Hitlers am 30. Januar 1933 in Bremen, musste es dann aber verlassen, weil die NS-Presse offen und direkt gegen ihn hetzte. Im Oktober 1933 ging Alfred Ries nach Zagreb, wo er für ein HAG-Tochterunternehmen arbeitete. Die Monate dazwischen lebte und arbeitete Alfred Ries in München. 1935 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.

Als die deutschen Truppen 1941 in Jugoslawien einmarschierten, tauchte er in die Illegalität unter. Seine Eltern kamen im KZ Theresienstadt ums Leben. Auch Alfred Ries geriet für fast zwei Jahre in nationalsozialistische Gefängnisse und Konzentrationslager.

Nach Kriegsende bat ihn Bürgermeister Wilhelm Kaisen, beim Aufbau der bremischen Wirtschaft zu helfen. Alfred Ries kehrte trotz seines Schicksals und trotz des Schicksals seiner Eltern schon Ende 1946 in seine Heimatstadt zurück und übernahm die Leitung des Staatlichen Außenhandelskontors.

Wenig später, 1947, wählte ihn der SV Werder Bremen wieder zum Vorsitzenden. Zahlreiche Funktionen im nationalen und internationalen Sportleben folgten: Er wurde Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees (NOC), des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und des Vorstandes des Deutschen Fußball-Bundes. Aber auch in der Bremer jüdischen Gemeinde war er wieder aktiv, und zwar als Mitglied des Vorstandes.

1953 bis 1963 arbeitete Alfred Ries im diplomatischen Dienst der Bundesrepublik Deutschland, zunächst in Jugoslawien und Indien. Ab 1959 war er Botschafter in Liberia.

1963 kehrte er nach Bremen zurück und wurde erneut Vorsitzender seines Vereins, 1965 kandidierte er für den Deutschen Bundestag und erlebte die erste Deutsche Meisterschaft des SV Werder als dessen Vorsitzender. Alfred Ries starb 1967 in Bremen.

Hermann Horwitz – Mannschaftsarzt von Hertha BSC

Hugo Reiss

Dass Hertha BSC sich in den 1920er und frühen 1930er Jahren auf dem Höhepunkt der sportlichen Erfolge befand, verdankte die Mannschaft nicht zuletzt einer Person, die lange vergessen war: dem Sportarzt Dr. Hermann Horwitz.

Der 1885 in Berlin geborene Horwitz war schon zu seiner Jugendzeit Leichtathlet beim Berliner Sport-Club und übernahm dort ehrenamtlich die Leitung der Schülerabteilung. Nach Abschluss seines Medizinstudiums, das durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen worden war, widmete er sich auch beruflich dem Sport: Er verfasste mit seinem Kollegen Dr. Hans Ziller das Buch Die Sportmassage und wurde Mitglied eines Sportärztebundes.

Etwa zur gleichen Zeit, im Jahre 1923, fusionierte der Berliner Sport-Club mit dem BFC Hertha 1892. Hermann Horwitz wurde Mitglied im daraus entstehenden Hertha Berliner Sport-Club, besser bekannt als Hertha BSC - und nur wenige Zeit später ehrenamtlicher Mannschaftsarzt des Vereins. Er leistete Pionierarbeit auf dem bisher wenig erforschten Bereich der Sportmedizin und konnte beispielsweise Ernährungspläne gegen den anfänglichen Widerstand der Mannschaft durchsetzen. Verletzte Spieler versorgte er häufig noch am Spielfeldrand, schickte sie bei ernsten Verletzungen jedoch auch ins nächstgelegene Krankenhaus. Er engagierte sich im Verein als Schiedsrichter im Jugendbereich und war gefragter Autor für das vereinseigene Nachrichtenblatt sowie Referent für sportmedizinische Vorträge innerhalb des Verbandes Berliner Ballspiele.

Auch den Höhepunkt der Vereinsgeschichte von Hertha BSC erlebte er mit: Die Mannschaft nahm sechs Mal in Folge am Finale um die Deutsche Meisterschaft teil und gewann diese 1930 und 1931. Und insbesondere die Titelverteidigung ist auch eine Geschichte von Dr. Hermann Horwitz. Kurz vor Schluss der Partie verletzte sich Hertha-Star Willi Kirsei - ein Foto belegt, wie Horwitz den Stürmer vom Platz brachte. Kirsei konnte kurz darauf weiterspielen und erzielte in der 89. Minute das siegbringende Tor.

Die antisemitische Verfolgung im Nationalsozialismus bekam Horwitz privat wie beruflich zu spüren: Er verlor seine Approbation und durfte fortan als sogenannter “Krankenbehandler” nur noch jüdische Patientinnen und Patienten betreuen. Aus den Vereinsunterlagen von Hertha BSC lässt sich ablesen, dass Horwitz 1938 ausgeschlossen wurde - neben seinem Namen findet sich der Vermerk “Nichtarier”. Am 19. April 1943 wurde er mit dem 37. “Osttransport” von Berlin nach Auschwitz deportiert, wo er zunächst als Häftlingsarzt eingesetzt wurde.

In mindestens einem Fall konnte Hermann Horwitz in dieser Position einem Mithäftling das Leben retten. Er intervenierte beim bereits zur Vergasung ausgewählten Häftling Erwin Valentin: Seine Begründung, dass dieser als Chirurg dringend benötigt würde, stimmten den Lagerarzt Rohde um. Erwin Valentin überlebte den Nationalsozialismus.

Gleichzeitig ist die Aussage Erwin Valentins nach dem Krieg das letzte überlieferte Lebenszeichen von Hermann Horwitz. Das Datum und die genauen Umständen des Todes des ehemaligen Mannschaftsarztes von Hertha BSC sind bis heute ungeklärt.

Jenö Konrad – Ein Trainer auf der Flucht

Hugo Reiss

Eugene Konrad wird am 13. August 1894 im serbischen Nemeth-Palánka geboren. In dem Städtchen an der Donau nennen alle den begabten Straßenfußballer nur Jenö. Schon als 17-Jähriger debütiert Jenö Konrad als halbrechter Stürmer beim MTK Budapest. Der MTK ist damals das Dreamteam des europäischen Fußballs, und Konrad wird zweimal ungarischer Meister. 21-jährig streift der ausgezeichnete Techniker zum ersten Mal das Trikot der ungarischen Nationalmannschaft über.

Zusammen mit seinem Bruder Kalman geht Jenö Konrad 1919 nach Österreich zum Amateur-Sportverein (später Austria), dann als Profi zur Wiener Vienna. Er wird einmal Österreichischer Meister und zweimal Pokalsieger. Nach einer Meniskus-Verletzung arbeitet er erfolgreich als Trainer. Im August 1930 engagiert der 1. FC Nürnberg den Mann, der sechs Sprachen beherrscht und eigentlich Professor werden wollte.

Konrad verjüngt die Mannschaft des 1. FCN. Schnell stellen sich erste Erfolge ein. Dennoch – ein unglückliches 0:1 gegen Bayern München auf unbespielbarem Boden kostet 1932 die Nordbayerische Meisterschaft. Mit einem 0:2 ebenfalls gegen Bayern, den späteren Meister, scheidet der Club aus dem Rennen um die Deutsche Meisterschaft aus.

Diese Niederlage nimmt das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer zum Anlass, gegen Jenö Konrad Stimmung zu machen: „Der 1. Fußballklub Nürnberg geht am Juden zugrunde“ lautet im August 1932 die Schlagzeile. Der jüdische Trainer des Vereins war den aufstrebenden Nationalsozialisten um Stürmer-Herausgeber Julius Streicher ein Dorn im Auge: „Ein Jude ist ja auch als wahrer Sportsmann nicht denkbar. Er ist nicht dazu gebaut mit seiner abnormen und missratenen Gestalt. Klub! Gib Deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem. Werde wieder deutsch, dann wirst Du wieder gesund. Oder Du gehst am Juden zugrunde.“

Jenö Konrad erkennt die Zeichen der Zeit, dass man als Jude in Deutschland nicht mehr in Sicherheit ist. In der Nacht vom 5. auf den 6. August 1932 verlässt er Hals über Kopf mit seiner Frau Grete und seiner dreijährigen Tochter Evelyn die Stadt Richtung Wien. „Ich bin in meiner Person beschimpft worden“, schreibt er dem Vereinsvorstand. „Für mich waren die zwei Jahre beim Club keine kleine Episode, … sondern ein Erlebnis, das mit mir weiterlebt, wenn ich schon lange, lange anderswo lebe.“ Für die Vereinschronik hat er noch ein Foto mit Autogramm beigelegt: „Der Club war der erste. Und er muss der erste werden.“

Der Stürmer vermeldet in der nächsten Ausgabe seinen Erfolg: „Jud Konrad ist abgedampft.“ Im Gegensatz zum Stürmer ist der Vorstand des 1. FC Nürnberg von Konrads Abreise nicht begeistert. Karl Müller, der zweite Club-Vorsitzende, verabschiedet Konrad als „untadeligen Menschen, dem bitteres Unrecht angetan worden ist, an dem der Verein kein Teil hat“.

Für Konrad beginnt nach seinem Weggang aus Nürnberg eine regelrechte Odyssee quer durch Europa – immer auf der Flucht vor der voranschreitenden Wehrmacht. Als Trainer arbeitet er zunächst im rumänischen Temesvar, dann in Wien, im tschechischen Brünn und in Triest. Die antisemitischen Gesetze Mussolinis zwingen ihn, Italien Richtung Budapest zu verlassen. Die nächsten Stationen sind Paris, dann Lille und Lissabon. Dort nennt er sich Eugenio Conrado und trainiert den Sporting Clube de Portugal.

Im Mai 1940 landet Konrad schließlich nach 15-tägiger Überfahrt dem kleinen Frachtschiff „San Miguel“ in New York – er bringt seine Familie und sich in Sicherheit. Er eröffnet in New York ein kleines Gardinengeschäft. Als der 1. FCN während seiner USA-Tournee im Mai 1955 in New York gegen den FC Sunderland (1:1) spielt, ist er als Zuschauer dabei und schreibt dem Club einen Brief: „Der Verein ist … ein wunderbar geführter Club, der in jeder Beziehung dem Sport Deutschlands Ehre bringt.“ Jenö Konrad stirbt am 15. Juli 1978 nach einem Herzinfarkt in New York.

Im Rahmen eines Buchprojektes über den 1. FCN macht sich der Autor und lub-Historiker Bernd Siegler 1996 auf die Suche nach Konrads Tochter Evelyn – und wird in New York fündig. So ist die Geschichte Jenö Konrads im Buch „Die Legende vom Club“ zum ersten Mal nachzulesen. Auch in die offizielle Festschrift zum 100-jährigen Vereinsjubiläum im Jahre 2000 findet die Odyssee des jüdischen Trainers und die Geschichte des 1. FCN im Nationalsozialismus mit dem Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder Eingang, ebenso im Club-Museum, das im Herbst 2012 eröffnet wird.

In einer aufsehenerregenden Choreographie gedenkt die Fangruppierung Ultras Nürnberg 1994 beim Heimspiel gegen Bayern München dann am 17. November 2012, des ehemaligen jüdischen Trainer und erinnerte an sein Schicksal. Konrads Konterfei und sein Spruch „Der Club war der erste. Und er muss der erste werden“ prangt vor 50.000 Zuschauern über der gesamten Nordkurve des Stadions. Zehn Wochen haben bis zu 200 Ultras an dem überdimensionalen Konrad-Konterfei und dem riesigen Spruchband gearbeitet. Mit dieser aufwändigen Choreografie erinnern die Nürnberger Ultras 80 Jahre später an ein geschichtsträchtiges Ereignis der Club-Historie und setzen ein klares Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus.

Am 22. Januar 2013 lädt der 1. FC Nürnberg die inzwischen 84-jährige Evelyn Konrad nach Nürnberg zu einer Gedenkveranstaltung ein. Dort verleiht der Club Jenö Konrad posthum die Ehrenmitgliedschaft, nimmt den Aufnahmeantrag seiner Tochter Evelyn entgegen und rehabilitiert – als bis dahin erster deutscher Profi-Fußballverein – symbolisch alle in der Zeit von 1933 bis 1945 ausgeschlossenen jüdischen Vereinsmitglieder.

Für die Aufarbeitung der Vergangenheit im Nationalsozialismus erhalten im Jahre 2013 der 1. FC Nürnberg und die Fangruppierung Ultras Nürnberg 1994 gemeinsam vom Deutschen Fußball-Bund den Julius- Hirsch-Preis (2. Platz). Der Preis würdigt Personen, Initiativen und Vereine, die sich beispielhaft und unübersehbar einsetzen für die Menschenwürde sowie gegen Antisemitismus und Rassismus. Das Preisgeld des Julius-Hirsch-Preises fließt seitdem in den „Internationalen Jenö Konrad U14-Cup“ – im Sinne eines nachhaltigen Engagements des 1. FC Nürnberg gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in jeglicher Form.

Salamo Arouch, Boxer, kämpfte in Auschwitz um sein Überleben

Hugo Reiss

Wenn wir heute in Deutschland von Griechenland sprechen, wird oft über Schulden, faule Tricks und Regelverstöße räsoniert. Allzu gerne wird vergessen, dass Deutschland 1946 zu Reparationszahlungen an Griechenland wegen grausamster Kriegsverbrechen verurteilt wurde: 7,1 Mrd. US Dollar, das entspräche heute 80 Mrd. €. Diese Zahlungen wurden bis heute nicht geleistet. Die Besatzung kostete nach Schätzungen über 500.000 Griechen das Leben.

Hier ist die Geschichte eines der Leidtragenden:

Salamon Arouch, geboren am 1. Januar 1923, war eine junge Boxsensation in seiner Heimatstadt Thessaloniki, bevor er 1943 von den Nazis gefangengenommen und mit dem Zug nach Auschwitz deportiert wurde. Bei seiner Ankunft im Konzentrationslager wurde ihm die Gefangenennummer 136954 in den Arm tätowiert. Als die Neuankömmlinge gefragt wurden, ob jemand von ihnen Boxer sei, trat Arouch vor und wurde zu einem Kampf gegen einen anderen Häftling beordert. Arouch boxte bald darauf zwei oder mehrmals pro Woche zur Unterhaltung der Nazis. „Wir kämpften bis wir zu Boden gingen oder bis sie keine Lust mehr zum Zuschauen hatten“, sagte Arouch später, „Sie wollten in jedem Kampf Blut sehen.“

Arouch wog 135 Pfund und musste oft gegen viel größere Kämpfer antreten. Einmal schlug er einen 250-Pfund-Gegner in 18 Sekunden k.o. Seine Gegner waren normalerweise andere Juden oder Roma, gelegentlich auch Wachen. „Der Verlierer war immer völlig geschwächt“, sagte Arouch, „und die Nazis erschossen den Schwachen.“ Die deutschen Offiziere wetteten auf Arouchs Kämpfe und seine Box-Fähigkeiten, verschafften ihm besondere Behandlung – mehr Essen und einen Büro-Job – während seine Mit-Gefangenen vor seinen Augen geschlagen und getötet wurden.“ „Die Gefangenen arbeiteten von 4 Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit“, erzählt Arouch. „Wir sagten niemals ‚Gute Nacht‘ sondern bloß ‚Schlaf!‘. Für viele war es besser zu sterben, als einen einzigen Tag weiter zu leiden. In dieser Situation kämpfte Arouch weiter, in dem Bewusstsein, dass eine einzige Niederlage den beinahe sicheren Tod bedeuten würde. Sein härtester Gegner, so erinnert er sich, war ein deutsch-jüdischer Amateur-Boxer namens Klaus Silber. Sie stürzten gemeinsam aus dem Ring und gingen zu Boden, bis Arouch sich erholte und ihn k.o. schlug. Er sah Silber nie wieder. Während seiner knapp zwei Jahre in Auschwitz, so errechnet Arouch, besiegte er 208 Gegner, zweimal ging der Kampf unentschieden aus.

Salamon Arouch wurde 1923 in einer Familie sephardischer Juden in Thessaloniki geboren und arbeitete mit seinem Vater und Bruder als Hafenarbeiter. Er gewann seinen ersten Boxkampf mit 14 und wurde wegen seiner schnellen Beinarbeit der „Balletttänzer“ genannt. 1941 wurde er als 17-jähriger Balkan-Meister im Mittelgewicht. Nachdem Griechenland 1941 von Deutschland besetzt wurde, wurde Arouch mit 47.000 anderen jüdischen Einwohnern Thessalonikis ins Konzentrationslager verschleppt. Nur 2000 überlebten den Krieg. Alle Frauen und Kinder in Arouchs Familie wurden in den Gaskammern von Auschwitz getötet, sein Vater, geschwächt durch die Zwangsarbeit, wurde exekutiert. Als sein Bruder sich weigerte, toten Juden die Goldzähne zu ziehen, wurde er erschossen. Am Ende des Krieges auf der Suche nach Verwandten im befreiten Lager, traf Arouch die 17jährige Marta Yechiel aus seiner Heimatstadt. Sie gingen nach Palästina, heirateten im November 1945 und bekamen 4 Kinder und 12 Enkel. Salamo Arouch wurde nun Shlomo genannt, kämpfte 1948 im Arabisch-Israelischen Krieg und eröffnete später ein erfolgreiches Transport- und Umzugsunternehmen in Tel Aviv.

Als 1989 der Film „Triumph des Geistes“ in die Kinos kam, der Arouchs Schicksal in Auschwitz zum Thema hatte, gab der ehemalige Boxer eine Reihe von Interviews und beschrieb die Realität der Kämpfe auf Leben und Tod: „Es war furchtbar, ich zitterte vor jedem Kampf,“ sagte er, „Aber ein Boxer darf kein Erbarmen fühlen. Wenn ich nicht gewonnen hätte, hätte ich nicht überlebt.“

Arouch starb am 26 April 2009 in Israel. Er war 86 Jahre alt.

Walter Vollweiler - war der Torjäger Nr. 1

Hugo Reiss

Am 23. März 1933 meldete das ‚Ulmer Tageblatt‘: „Vollweiler beim DFB-Kurs in Frankfurt. Wie wir hören, hat der Mittelstürmer des UFV 94 eine Einladung zu dem vom 29. März bis 1. April im Frankfurter Stadion stattfindenden Fußball-Lehrkurs des Deutschen Fußballbundes erhalten. Vollweiler will der Einladung Folge leisten“.

Walter Vollweiler, geb. 17. April 1912 in Ulm, nahm an dem Lehrgang der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Frankfurt tatsächlich teil, zu einem Einsatz im nächsten Länderspiel kam es jedoch nicht mehr. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten verhinderte, dass Walter Vollweiler nach Gottfried Fuchs und Julius Hirsch als dritter Fußballspieler jüdischen Glaubens in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft berufen wurde.

Walter Vollweiler wurde am 17. April 1912 in Ulm geboren. Er hatte zwei Brüder: Kurt war zwei Jahre älter, Heinz 14 Jahre jünger. Die Eltern, Samson und Betty Vollweiler, waren im Viehhandel tätig. Walter besuchte zunächst die Grundschule und machte später sein Abitur an der Oberrealschule an der Olgastraße, dem heutigen Keplergymnasium. Bereits mit 12 Jahren trat er dem Ulmer FV - Vorgänger des heutigen SSV Ulm - bei. Als 17-Jähriger schoss er seinen Verein mit 75 Toren zum Aufstieg in die Bezirksliga, der damals höchsten deutschen Fußballliga. Er war der Star der Mannschaft und wurde von der Sportpresse überschwänglich gefeiert: „Mit allen Begabungen ausgestattet, erinnert er in der Ballbehandlung an wendige und ideenreiche Internationale, dabei ist sein Spiel von großer Wucht und Durchschlagskraft“. Seine Mannschaftskameraden nannten ihn „Volle“.

Als 20-Jähriger wurde er erstmals in die süddeutsche Auswahlmannschaft berufen und feierte mit zwei Toren bei dem 4:2-Sieg über die mitteldeutsche Auswahl ein tollen Einstand. Mit der Einladung zum Lehrgang der deutschen Fußball-Nationalmannschaft deutet sich dann ein neuer Höhepunkt in der Fußballkarriere des jungen Walter Vollweiler an. Am 9. April 1933 bestritt er jedoch sein letztes Spiel für den Ulmer FV. Vier Tage später meldete das Ulmer Tageblatt, dass Walter Vollweiler seinen Austritt aus dem Verein erklärt habe. Die Wahrheit ist jedoch, dass er wie auch die anderen jüdischen Vereinsmitglieder einen ‚blauen Brief‘ seines Vereins erhalten hatte, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er als Jude in Zukunft unerwünscht sei. 115 Ligaspiele hatte er für den Ulmer FV bestritten und war der Torjäger Nr. 1, alles das war vergessen und nichts mehr wert. Ausgeschlossen aus dem Ulmer FV wurde auch die jüdische Hochspringerin Gretel Bergmann. Wenige Wochen später floh Walter Vollweiler nach Frankeich. Dort spielte er u.a. für Stade Rennes, für den er in 49 Spielen 44 Tore erzielte, bevor er 1938 in die USA auswanderte. Der jüdische Verein Prospect Unity Soccer Club, den er in der New Yorker Amateurliga mit 39 Toren zum Meistertitel führte, war die letzte Station in seiner Karriere.

1947 kehrte Walter Vollweiler als amerikanischer GI-Offizier in seine Heimatstadt zurück. Später eröffnete er in Miami eine optische Werkstatt und ein Brillenfachgeschäft. Als im Jahre 1988 die Stadt Ulm ihre ehemaligen Bürger jüdischen Glaubens zu einem Besuch einlud, folgte auch Walter Vollweiler dieser Einladung. Beim traditionellen Schwörmontags-spiel führte Walter Vollweiler den Anstoß aus und überreichte seinem Verein einen Pokal mit der Widmung „Verständnis und Toleranz“, der inzwischen als Wanderpokal bei einem integrativen Fußballturnier mit Behinderten ausgespielt wird. Walter Vollweiler stirbt im Januar 1991 in den USA.

Bild: Bayerische Staatsbibliothek Muenchen

Hugo Reiss – ein Leben für den Fußball

Hugo Reiss

1933 musste Hugo Reiss sein Amt bei der Eintracht Frankfurt niederlegen. Grundlage hierfür war der Beschluss des deutschen Fußballbundes und der Sportbehörde, nachdem „Angehörige der jüdischen Rasse“ in führenden Stellungen der Vereine nicht mehr tragbar seien. Die Eintracht dankte dem scheidenden Schatzmeister in den „Vereins-Nachrichten“ und lobte die Verdienste von Hugo Reiss: „Er hat allen Eintrachtmitgliedern ein leuchtendes Beispiel für Pflichterfüllung und Vereinstreue gegeben.“

Hugo Reiss wurde am 21. Juni 1894 in Frankfurt geboren. Seit seiner Jugend war Hugo Reiss Mitglied der Eintracht. 1924 wurde er, gerade 30 Jahre alt, Schatzmeister des Vereins. Er sorgte für geordnete Finanzen und organisierte das gesellschaftliche Leben im Verein. Als Betriebsleiter arbeitete Hugo Reiss in der Firma Adler & Neumann in Frankfurt. Zusammen mit anderen Verantwortlichen des Vereins gelang es ihnen, die Fußballer der Eintracht nach und nach an die Deutsche Spitze zu führen. Dies war u. a dadurch möglich, da ein Teil der Spiel in der Fabrik Schneider angestellt wurden, da Profiverträge streng verboten waren.

Ende 1936 verließ Hugo Reiss Deutschland in Richtung Italien. Als die Lage für Juden auch in Italien immer gefährlicher wurde, floh Hugo im März 1939 nach Chile. Dort baute er sich eine neue Existenz auf. Seinen Eltern gelang die Ausreise nicht mehr. Sie wurden von Frankfurt in das Ghetto Litzmannstadt verschleppt und dort ermordet.

Hugo Reiss

Es war eine richtige Entscheidung Deutschland zu verlassen, da die Verfolgung von Juden immer mehr zunahm. Hatte sich die Eintracht anlässlich des „Rücktritts“ von 1933 noch so lobend über den erfolgreichen Schatzmeister geäußert, wurde wenig später sein Name aus dem Vereinsgedächtnis gestrichen. In der Festschrift zum 40. Vereinsjubiläum hatte man 1939 die Namen aller jüdischer Sportler, Mäzene und Funktionäre sorgsam gelöscht. In dem Heft war keine Rede mehr von Hugo Reiss und anderen jüdischen Eintrachtlern.

In der neuen Heimat Chile wurde Hugo Reiss zu einem begeisterten Fan des chilenischen Fußballs und verfolgte auch nach dem Krieg die Ergebnisse seiner Eintracht. Zu alten Vereinskameraden hielt er stets Kontakt und informierte sich über die Ereignisse seiner Eintracht. Stolz war er, als Sepp Herberger sich im Vorfeld der WM 1962 bei ihm nach den Landesgepflogenheiten erkundigte.

Unter großer Anteilnahme aus der Vereins- und Fanszene hat die Frankfurter Eintracht in Erinnerung an den ehemaligen Schatzmeister am 3. Juni 2011 Stolpersteine für Hugo, Jette und Max Moses Reiss verlegt.

Wer war Kurt Landauer?

Kurt Landauer

Kurt Landauer, am 28. Juli 1884 in Planegg bei München geboren, war Urbayer, Jude und Präsident des FC Bayern München.

Schon vor dem 1. Weltkrieg, von 1913 - 1914, übernahm er Verantwortung als Präsident. In den darauf folgenden Amtszeiten zwischen 1919 - 1933 wuchs sein Verein stetig. Zwei süddeutsche Meisterschaften (1926 und 1928) und das Vordringen in die Endrunden zur Deutschen Meisterschaft (1926, 1928 und 1929) belegen in diesem Zeitraum den sportlichen Aufstieg der „Bayern“.

Der Gewinn der ersten Deutschen Fußballmeisterschaft am 12. Juni 1932 markierte den Höhepunkt dieser Entwicklung.

Die sog. „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten mit ihren menschenverachtenden Ausgrenzungs- und Vernichtungsmaßnahmen zwangen Kurt Landauer am 22. März 1933 zum Rücktritt als Vereinspräsident.

Kurt landauer

Nach der Reichspogromnacht (9. November 1938) wurde er von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Nach 33 Tagen entließ man ihn mit der Auflage, unverzüglich das Land zu verlassen.

Freunden gelang es, ihm im Frühjahr 1939 ein Visum für die Schweiz zu besorgen. In Genf überlebte er. Vier seiner sechs Geschwister wurden in den Konzentrationslagern ermordet.

1947 kehrte Kurt Landauer in seine Heimstadt München zurück. Mit 66 Jahren wurde er noch einmal für vier Jahre Präsident des FC Bayern.

Am 21. Dezember 1961 starb Kurt Landauer in München.

Unter seiner Führung entwickelte sich die „Bayern“ zu einem der bedeutendsten Vereine in Deutschland. Landauer legte damit entscheidende Grundlagen für die spätere Erfolgsgeschichte des FC Bayern München.

Julius Hirsch

Julius Hirsch

wird am 2. April 1892 als Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Der Fußball ist von klein an seine große Leidenschaft. ln seiner Heimatstadt Karlsruhe treffen sich die fußballbegeisterten Jungen auf dem Engländerplatz. Julius ist immer dabei. Mit zehn Jahren tritt er dem Karlsruher Fußballverein bei, damals eine der besten Mannschaften in Deutschland. Schon mit 18 Jahren ist er Stammspieler in der ersten Mannschaft und wird 1910 Deutscher Meister- Julius Hirsch bildet zusammen mit Fritz Förderer und Gottfried Fuchs die beste Angriffsformation in Deutschland. Ein Jahr später wird er in die Nationalmannschaft berufen. lm Länderspiel gegen Holland 1912 erzielte er vier Tore und nimmt an den Olympischen Spielen in Stockholm teil.

lm Privaten ist Julius Hirsch ein konservativer deutscher Jude, der stolz seinen Wehrdienst leistet. Während seiner einjährigen Grundausbildung spielt er weiter im Verein. 1913 wechselt er zur Spielvereinigung Fürth und wird 1914 als Kapitän seiner Mannschaft wieder Deutscher Meister. Das schaffte vor ihm noch keiner. Julius Hirsch, der von allen „Julle“ genannt wird, ist auf dem Höhepunkt seiner Fußballer-Karriere". Er ist beliebt bei den Fans, ist laufstark, technisch gut und ungeheuer torgefährlich. Sein gebückter Laufstiel und sein harter Schuss sind in ganz Deutschland bekannt.

1914 beginnt der Erste Weltkrieg aus. Er kostet ihm die besten Jahre als Fußballer. Julius Hirsch überlebt und erhält für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz.

1923 beendet er seine Kariere als Spieler und wird Trainer beim Karlsruher FV. Er heiratet, wird Vater zweier Kinder und arbeitet in der Textil-Fabrik seiner Eltern. Julius Hirsch ist ein gut situierter Geschäftsmann. Doch ab 1933 sind in Deutschland Juden unerwünscht. Am 19. April 1933 liest Julius Hirsch in der Zeitung: „Der Vorstand des DFB hält Angehörige der jüdischen Rasse in führenden Stellungen der Vereine nicht für tragbar.“ Er erklärt seinen Austritt aus dem geliebten Karlsruher FV. Tief enttäuscht schreibt er den alten Sportkameraden: „Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass es in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht auch viel mehr national denkende und durch das Herzblut vergossene deutsche Juden gibt.“

Das Familienunternehmen muss Konkurs anmelden. Julius Hirsch geht nach Frankreich auf der Suche nach Arbeit. lm November 1938 versucht er sich auf Grund seiner scheinbar ausweglosen Situation verzweifelt das Leben zu nehmen. Zurück in Karlsruhe lässt er sich von seiner nicht-jüdischen Frau Ella scheiden. Er will sie und seine Kinder vor Schlimmerem bewahren. Julius Hirsch wird als Zwangsarbeiter eingezogen. Sein Arbeitsplatz ist ein Schuttplatz am Rande der Stadt. 1943 kommt die amtliche Aufforderung sich zum „Arbeitseinsatz im Osten zu melden“.

Am 1. März 1943 steigt er in einen Zug nach Auschwitz. Ein Polizist, der den ehem. Nationalspieler erkennt, warnt ihn und bietet ihm Hilfe an. Er geht auf das Angebot nicht ein. Eine Geburtstagskarte für seine Tochter Ella vom 3. März 1943 ist sein letztes Lebenszeichen: „Mein Lieben! Bin gut gelandet, es geht gut! Herzliche Grüße und Küsse, Euer Juller!“

Im KZ Auschwitz verliert sich seine Spur.

Rede des Schülersprecher Valentin Amian

Ferdinand Hackl

Ferdinand Hackl

Völlig paradox mutet es sicherlich für sie an, dass das KZ Dachau auch ein Ort war, wo Lagerfußball stattfinden konnte – eigentlich unglaublich. Im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau befindet sich eine Bildserie aus der Anfangszeit des Konzentrationslagers. Es zeigt 1933 Häftlinge, die Fußball spielen. Diese Bilder sollten den Eindruck vermitteln, wie gut es den Männern geht. Deshalb wurden sie auch veröffentlicht. Ein Zeitpunkt, da schon die ersten Häftlinge im KZ Dachau ermordet wurden.

Aus einer späteren Phase gibt es ein Zeitzeugenbericht.

Ferdinand Hackl (1918 – 2010), Häftling des KZ Dachau berichtet, dass nach der Niederlage in Stalingrad die Kriegsproduktion noch mehr angekurbelt werden sollte. So schreibt er in seiner Biografie: „Um die Arbeitsmoral zu heben, gab es einige Begünstigungen, wie zum Beispiel das Fußballspiel. Auf dem Appellplatz, wo Häftlinge täglich schikaniert und sehr oft auch zu Tode gequält wurden (...), durfte jetzt an freien Sonntagen Fußball gespielt werden.“

Heute wissen wir, die Mannschaften waren nach Nationen oder Arbeitskommandos zusammengestellt. Hackl schreibt weiter, diese Spiele halfen „den spielenden und auch den zuschauenden Häftlingen, ihr Leid und den Hunger – zumindest für die Zeit des Fußballspiels – ein wenig zu vergessen. Selbst der üble Geruch vom nahe gelegenen Krematorium wurde, wenn er nicht zu arg war, während der Fußballspiele weniger beachtet.“ Vergnügt hätten selbst barbarische Kommandanten und sadistische SS-Leuten dem Spiel „auf dem harten Boden des Appellplatzes“ zugeschaut.

Beinahe aber hätten zumindest die Fußballer zeitweise aus dem Konzentrationslager Dachau heraus gedurft. Ferdinand Hackl berichtet: „Eines Tages kam der SS-Schutzhaftlagerführer von Redwitz auf die kuriose Idee, mit zwei guten Häftlingsmannschaften in Deutschland auf Tournee zu gehen und Schau-Fußballspiele zu veranstalten.“

Auch Hackl wurde am 2. September 1943 schriftlich einberufen. Auf dem Zettel stand: „Der Spielausschuss der Sportgemeinschaft KLD hat beschlossen, Sie für das Auswahlspiel im Stadion Dachau aufzustellen.“ Hackl bemerkte später einmal etwas zynisch, dass es das einzige Mal in seiner Zeit im KZ war, dass er mit „Sie“, und nicht mit „Du“ angeredet wurde. Doch zum Spiel kam es nicht. Von Redwitz Ansinnen wurde von Reichssportführer Arno Breitmayr abgelehnt.

Im KZ Dachau endete der Fußball dann mit Ausbruch des Typhus.

FREDY HIRSCH – eine sperrige Heldengeschichte

Ferdinand Hackl

Fredy Hirsch wird am 11.Februar 1916 als Alfred Hirsch, Sohn eines jüdischen Metzgermeisters in Aachen geboren. Er war Pfadfinder, Funktionär und Sportlehrer. Vor allem aber war er der Held und Retter hunderter, wahrscheinlich sogar tausender Kinderleben im Holocaust. Und dennoch ist sein Name, der es verdient hätte, in einem Atemzug mit Oskar Schindler genannt zu werden, so gut wie niemandem bekannt. Denn Fredy Hirsch war homosexuell. Und seine Geschichte zu erzählen bedeutet - erstmals vielleicht - die Geschichte eines schwulen Helden aus dem Zweiten Weltkrieg zu erzählen. Was offensichtlich bis heute so manchen Chronisten dazu veranlasst, sie dann lieber gar nicht zu erzählen.

Fredy Hirschs Leben lässt sich heute nur noch aus Erinnerungs-Fragmenten zusammensetzen. Aus dem Pfadfinder wird schnell ein junger und engagierter Zionist, dessen Ziel es ist, so viele Kinder und Jugendliche wie möglich auf ein Leben in Palästina vorzubereiten. Doch die politische Entwicklung überholt ihn. In jeder Beziehung. Als die Nazis 1933 die Macht an sich reißen, wird schnell klar, dass ihm als Juden kaum eine Zukunft in seiner Heimat möglich sein wird. Als Homosexuellem scheint ihm zusätzlich eine Zukunft ganz und gar verbaut, und letztendlich spielt es dabei keine Rolle, wohin er sich damit flüchtet. Sie wird nirgendwo wirklich akzeptiert, auch nicht unter den eigenen Leuten, wo sie - immerhin - als mehr oder weniger unveränderliches Übel geduldet wird.

Ab seinem 19. Lebensjahr ist Fredy Hirsch auf der Flucht. Für den Rest seines Lebens wird das so bleiben. Zunächst in das noch nicht besetzte Prag. Als die Deutschen Besatzer auch dort einrücken, wird Fredy Hirsch für die dort lebenden jüdischen Kinder, die ihre völlige Entrechtung nicht verstehen, zum Synonym dafür, nie die Hoffnung aufzugeben. Er treibt auf dem „Hagibor“ Sport mit ihnen, er lässt sie Bücher lesen und Theater spielen. Er gibt ihrem Leben wieder einen Sinn.

Fredy Hirsch hat sein Prinzip entdeckt: gerade den Kindern muss man angesichts allem unverständlichen Schreckens, der ihnen widerfährt, eine Perspektive und einen Anschein von Normalität geben. Und vor allem: Stärke, Selbstbewusstsein und Widerstandskraft. Durch Sport, Kultur und Disziplin. Fredy Hirsch ist ein fanatischer Sportler und ein Übungsgleiter von fast militärischer Strenge.

Nach diesem Prinzip rettet Fredy Hirsch tausende „Kinderseelen“. „Er war unser Gott“, so schildern überlebende Zeitzeugen ihren „Fredy“ noch heute, der ihnen half, das KZ Theresienstadt und das Vernichtungslager Auschwitz zu überleben. In Theresienstadt war er für das Kinderheim zuständig, er half, dass Fußball in einer eigenen Liga gespielt werden konnte. In dem Dokumentarfilm „Liga Terezin“ wird ihm ein Denkmal gesetzt. Und immer wieder gelang es ihm, Kinder, die keine Lobby besaßen, vor den Transporten in die Vernichtungslager zu retten.

Als Fredy Hirsch in seinem Engagement für die Wehrlosesten zu weit ging, sitzt er plötzlich selber in einem Zug nach Auschwitz-Birkenau. Dort angekommen, ist er weit entfernt davon, sein Engagement aufzugeben. Er ringt der SS und dem berüchtigten Lagerarzt Mengele einen Kinderblock ab, in dem er sich um die Jüngsten kümmern kann. Er macht möglich, was im Vernichtungslager Birkenau eigentlich komplett unmöglich war: Die Kinder bekommen dank Fredy Hirsch Wärme, Betreuung, extra Essensrationen, sogar Bildung und – man kann es sich wirklich kaum vorstellen – sogar so etwas wie die Möglichkeit zu kindlichem Spaß. Er sichert so das Überleben vieler der Schwächsten. Keine hundert Meter von den immer qualmenden Schornsteinen der Krematorien entfernt.

Die Umstände des Todes von Fredy Hirsch sind bis heute nicht zu klären, und es wird wohl auch immer so bleiben. Fest steht: Als eines Tages klar ist, dass viele seiner Kinder 1944 zusammen mit Teilen des „Theresienstädter Familienlager“ im Vernichtungslager Birkenau vergast werden sollen, wird Fredy Hirsch aufgefordert, eine Aufstand anzuführen. Wenige Stunden später wird Fredy Hirsch bewusstlos aufgefunden. Am 8. März 1944 stirbt Fredy Hirsch im KZ Auschwitz-Birkenau.

War das die einzige Lösung für Fredy Hirsch in einem Moment, in dem es faktisch keine Lösung mehr gab? Für einen Menschen, der nie sein Lachen oder gar die Hoffnung verloren hatte? Oder war das gar die einzige Lösung, diesen Aufstand zu verhindern? Wie auch immer, Fredy Hirschs Leiche wird in jener Nacht im Krematorium von Birkenau verbrannt. In der Nacht, in der auch viele seiner Kinder sterben. Und mit ihnen über 3000 weitere jüdische Häftlinge.

Was bleibt, ist das Unverständnis, sein Geschichte bis heute zu verschweigen, nur weil er nicht einer ganz bestimmten Norm entsprach. Damals nicht und wohl auch heute, hätten manche Zeitgenossen hier ihre Schwierigkeiten.